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von Meritenramses • 6.578 Beiträge
Pharaonen im Eimer
in Ramses II. in den Medien 21.06.2011 19:13von Meritenramses • 6.578 Beiträge
Zitat
Der Umsturz in Ägypten war nicht gut für die Altertümer. Doch das Antikenrecht der Mubarak-Jahre war es auch nicht. Immerhin gibt es Vorschläge, wie man die Missstände vielleicht beheben könnte.
Von Ulf von Rauchhaupt
Siebenunddreißig Stücke fehlen noch. Diese numerische Exaktheit wirkt irgendwie beruhigend. Sie verheißt Überblick und Kontrolle nach chaotischen Vorkommnissen. Denn 37 ist die Zahl der Ausstellungsstücke, die bis heute aus dem ägyptischen Museum in Kairo vermisst werden, nachdem in der Nacht zum 29. Januar, auf dem Höhepunkt der Massenproteste gegen das Mubarak-Regime, dort eingebrochen worden war.
Was an dieser Zahl noch zuversichtlich stimmt, ist ihre bescheidene Größe. Das weltberühmte Museum beherbergt mehr als 120 000 Objekte, darunter Werke von ganz außerordentlichem historischen oder künstlerischen Wert, etwa die Goldmaske des Tutanchamun oder die Schminkpalette des Narmer, des ersten altägyptischen Königs. Aus diesem Schatz wurden in jener Januarnacht nach offiziellen Angaben lediglich rund 80 Stücke entwendet, von denen die Hälfte später wiederauftauchte, darunter auch die nebenstehend abgebildeten beiden Stücke: die kleine Kalkstein-Skulptur des Pharao Echnaton mit blauer Chepresh-Krone fand sich neben einem Mülleimer und die vergoldete Holzstatue des eine Harpune werfenden Tutanchamun in einer Tüte auf dem Bahnsteig einer U-Bahn-Station.
War also vielleicht alles doch nicht so schlimm? Die Fernsehbilder, die Al-Dschazira am Tag nach dem Einbruch aus dem Museum in die Welt funkte, hatten die Freunde altägyptischer Kunst Ärgeres fürchten lassen. Und auch das Dementi mancher Horrorstory sorgte für Erleichterung - etwa der von der völligen Zerstörung des Grabs der Maya, der Amme Tutanchamuns, in Saqqara südlich von Kairo. Denn mehr noch als Nachrichten über jene Nacht im Museum hatten schwer zu verifizierende Meldungen über massive Plünderungen und Raubgrabungen in etlichen der vielen hundert archäologischen Stätten entlang des Nils Besorgnis erregt.
Undurchsichtige Lage
Stattdessen freuten sich die Beobachter über die Berichte von Menschenketten und Bürgerwehren, die sich landauf, landab Dieben und Plünderern in den Weg gestellt hätten. Das machte Hoffnung - nicht zuletzt darauf, dass die heutigen Ägypter das Erbe der Pharaonenzeit sehr wohl zu schätzen wüssten und auch in der Lage seien, selbst darauf aufzupassen.
Doch was geschah wirklich? Und wie ist es jetzt um die Macht der Antikenbehörde bestellt, insbesondere um die ihres ebenso schillernden wie energischen Chefs Zahi Hawass, der im Verlauf der Ereignisse erst zum Minister befördert wurde, zurücktrat, abermals berufen, dann wegen Amtsmissbrauchs zu Zwangsarbeit verurteilt und wenig später wieder freigesprochen wurde? Und schließlich: Was ist oder wäre zu tun, um die ägyptischen Altertümer, von denen ein immenser Anteil noch der Ausgrabung und Erforschung harrt, besser zu schützen?
Die erste dieser drei Fragen, die nach dem tatsächlichen Ausmaß der Schäden, ist auch vier Monate nach den Ereignissen nicht umfassend oder gar abschließend zu beantworten. In Verlautbarungen von Zahi Hawass oder in den Nachrichtenkanälen der Ägyptologen finden sich rund zwei Dutzend archäologische Stätten (siehe Karte), an denen es zu Raubgrabungen oder Einbrüchen in Magazine mit archäologischen Funden gekommen sein muss.
Ausmaß und Natur der Übergriffe waren aber sehr verschieden. Die düstersten der wenig detailreichen Berichte kamen aus den Nekropolen Saqqara und Abusir südlich von Kairo sowie aus Abydos, dem uralten Heiligtum in Mittelägypten, wo auch die Könige der frühesten Dynastien bestattet wurden. Andere Stätten waren weit weniger betroffen. Cornelius von Pilgrim vom Schweizerischen Institut für Bauforschung und Altertumskunde in Kairo etwa gräbt in Assuan. "Dort haben während der Revolution die Grabungen unseres Instituts in der Innenstadt ohne Unterbrechung stattgefunden", sagt er. Der einzige Vorfall sei die mutwillige Beschädigung einer unfertig im Steinbruch liegenden Kolossalstatue Ramses II. gewesen."Sie wurde aufgehackt, angeblich in dem Glauben, darin Gold zu finden", sagt von Pilgrim.
Grabungen als Hindernis
Von vager Schatzsucherei getriebener Vandalismus - das ist, nach Ansicht von Stephan Seidlmayer, dem Direktor der Kairoer Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, eine von drei Kategorien, in die er die aktuellen Ereignisse einteilen würde. "In der kurzen Phase des Zusammenbruchs der Ordnungsstrukturen gab es eine Art brutale Neugierde lokaler Anwohner, die einmal wissen wollten, was in den verschlossenen Häusern und Magazinen eigentlich ist", sagt er. "Dadurch wurden Magazine aufgebrochen, mehr oder weniger durchwühlt und liegengelassen, ohne dass effektiv etwas weggekommen wäre. Es ist längst nicht so viel gestohlen worden, wie aufgebrochen und durchwühlt wurde." Seidlmayr gibt hier dem populären Bild der Archäologie zumindest eine Mitschuld. "Das ewige Geschwafel von Schätzen, das mit der Wirklichkeit archäologischer Forschung rein gar nichts zu tun hat, zeigt sich hier nicht nur als dumm, sondern auch als gefährlich."
Ein ernsteres Problem ist für Seidlmayr allerdings die zweite Kategorie. "Es gibt einen gewaltigen Landbedarf für Siedlungen oder Friedhöfe - und da ist die Archäologie im Weg." Als die staatliche Kontrolle nach dem 28. Januar vorübergehend wegfiel, ist es daher an etlichen Orten zu illegalen Bautätigkeiten gekommen. "Ich habe den Eindruck, dass hier die Normalität wiederhergestellt ist - allerdings ist das, was in dieser regellosen Zeit passiert ist, nicht wieder zurückgeführt", sagt er. "Hier habe ich große Sorgen, ob die ungeregelte Landnahme jemals wieder korrigiert wird."
Wie solche Landnahmen, so sind auch die Vorgänge der dritten Kategorie immer schon ein Problem gewesen, das sich während des Wegfalls polizeilicher Kontrolle nur drastisch verschärft hatte: Raubgrabungen und Diebstähle mit dem Ziel, die Beute an Sammler zu verkaufen. An mehreren der jetzt betroffenen Stätten, etwa Qantara oder Buto im Nildelta, seien in den letzten Jahren immer wieder Magazine aufgebrochen worden, sagt Cornelius von Pilgrim, auch mit Waffengewalt. "Berichte darüber wurden aber nur selten an die Presse gegeben. Auch die Raubgrabungen in der Altstadt in Assuan gehören seit jeher zur Tagesordnung." Profis waren während der jüngsten Wirren etwa beim Einbruch in die Magazine einer bedeutenden Ausgrabung im Nildelta am Werk. Nach Auskunft eines leitenden Archäologen, der ungenannt bleiben möchte, hatte es dort keinen Vandalismus gegeben, wohl aber Insiderkenntnisse. So seien dort vor allem Bronzewaffen gestohlen worden - und anderswo Amulette, die sich verkaufen lassen, ohne dass die Herkunft feststellbar ist.
Aus anderer Perspektive
Damit berührt die Diskussion der jüngsten Ereignisse ein heikles Thema: die Rolle des internationalen Antiquitätenhandels. Nach den Plünderungen des afghanischen Nationalmuseums in Kabul in den 1990er Jahren und des irakischen in Bagdad 2003 waren Stücke daraus im internationalen Handel aufgetaucht. Gleiches wird nun auch für Ägypten befürchtet. Die Non-Profit-Organisation "Saving Antiquities for Everyone" hatte nach den Ereignissen in Kairo sogar vorgeschlagen, den Handel mit altägyptischen Objekten komplett zu verbieten, bis die staatliche Ordnung am Nil ganz wiederhergestellt ist. Doch wenn Raubgrabungen im Grunde ein permanentes Problem sind, das durch die aktuellen Ereignisse lediglich besonders verschärft worden ist, dann läuft diese Logik darauf hinaus, dass ein Handel mit Antiquitäten generell das kulturelle Erbe eines Landes bedrohe, für dessen Altertümer eine Nachfrage besteht. Und weil die Gefährdung eines kulturellen Erbes auch dessen Erforschung schadet, müssten auch die Wissenschaftler grundsätzlich etwas gegen Händler haben.
Müssen sie? Vor einiger Zeit lud das Department for Cultural Management der London City University aus Anlass der ägyptischen Krise zu einer Podiumsdiskussion ein, auf der es letztlich um genau diese Frage ging - und auf der die These vom Antiquitätenhandel als Feind Ägyptens und der Ägyptologen geradezu auf den Kopf gestellt wurde. Das Thema der Londoner Veranstaltung war eigentlich die Frage, wie England, ein Zentrum der Ägyptologie und zugleich der zweitgrößte Antiquitätenmarkt der Welt, mit dem Problem umgehen soll. Thematisiert wurden dann aber vor allem die ägyptischen Antikengesetze und deren Folgen.
Wie Megan Rowland von der Cambridge University in ihrem Eröffnungsvortrag referierte, hat die ägyptische Rechtsauffassung in den letzten Jahrzehnten einen immer strengeren "Retentionismus" vertreten (siehe Kasten). Das bedeutet: Alle antiken Funde gehören dem ägyptischen Staat und dürfen das Staatsgebiet niemals dauerhaft verlassen. Antiquitäten, so Rowland, seien in Ägypten eminent politisiert. Das zeigten nicht nur die Forderungen nach Rückgabe der Nofretete-Büste, sondern auch die Versuche von Zahi Hawass, das Ausmaß der Zerstörungen und Verluste nach dem Einbruch ins Kairoer Museum zunächst herunterzuspielen, während er zugleich nicht müde wurde, die Menschenketten und Bürgerwehren - die es allerdings tatsächlich gab - medial in den Vordergrund zu schieben.
Verdrängung in den Untergrund
Nach retentionistischer Rechtsauffassung sind Altertümer Nationaleigentum und kommen daher grundsätzlich nicht als Handelsware in Frage. Für James Ede, den nächsten Podiumsredner in London, ist diese Idee absurd. Das ist kein Wunder, denn Ede ist selbst Antiquitätenhändler und zudem Vorstandsmitglied der International Association of Dealers in Ancient Art. Aber Partei sein heißt nicht, keine Argumente zu haben. "Gesetze, die alles und jedes - ohne Ansehen von Seltenheit oder Wichtigkeit - daran hindern wollen, das Land zu verlassen, haben oft genau den gegenteiligen Effekt", sagt er. Die Nachfrage von Sammlern sei nun mal da, und Retentionismus zwinge die Anbieter in den Untergrund. "Auch eine intellektuelle Begründung gibt es für solche Gesetze nicht. Wenn jemand fordern würde, kein Stück georgianisches Silber dürfe England verlassen, den würde man ja auch auslachen." Ede plädiert daher für einen staatlich kontrollierten und lizenzierten Antikenhandel. "Das würde den Schwarzmarkt austrocknen - natürlich nicht völlig, denn es gibt immer Leute, die auch Diebesgut ankaufen. Aber die meisten Sammler wollen das nicht. Die wollen ihre Sachen herumzeigen können."
Noch etwas schärfer ging Jonathan Tokeley mit der ägyptischen Praxis ins Gericht. Tokeley, selbständiger Restaurator und intimer Kenner der ägyptischen Antikenbürokratie, ist allerdings eine schillernde Gestalt. In seinem Buch "Rescuing the Past" tritt er als entschiedener Kritiker der Idee auf, Staaten hätten ein natürliches Recht auf die Altertümer, die auf ihrem Gebiet gefunden werden. Andererseits saß Tokeley drei Jahre im Gefängnis, weil er Altertümer aus Ägypten herausgeschmuggelt hatte. Allerdings widersprach niemand im Saal seiner Analyse, wonach allein das ägyptische Antikenrecht schuld daran sei, dass in mindestens dreizehn Fällen ganze archäologische Stätten von den Bauern, die auf sie gestoßen waren, zerstört wurden. "Nehmen Sie einen Fellachen, der auf seinem Feld etwas findet", erläutert er. "Das Gesetz verlangt, dass er den Fund innerhalb vom 48 Stunden den Behörden meldet. Das Stück wird Staatseigentum, der Bauer hat nichts davon. Freilich, wenn der Fund wichtig ist, kann ihm ein Komitee theoretisch einen Finderlohn zusprechen, aber ich habe nie davon gehört, dass das passiert ist." Wenn der Bauer mehrere Stücke findet, wird es noch schlimmer, denn dann erklärt der Staat seinen Acker zum archäologischen Gebiet, entschädigt ihn aber nur für die Ackerfläche, nicht für die Funde darin. "Das Resultat: Wenn ein Bauer etwas findet und nicht mutig genug ist, es auf den Schwarzmarkt zu tragen und Denunziation seiner Nachbarn zu riskieren, wird er den Funde so schnell wie möglich im nächsten Kanal versenken."
Vorschlag zur Fundteilung
Spätestens an dieser Stelle hätte man mit Einsprüchen von Archäologen gerechnet, etwa dem, dass eine Entschädigung nach dem Wert des Fundes erst einmal eine Preisbildung und damit eine Marktpräsenz voraussetzt, die gerade bei jenen Stücken ganz inakzeptabel wäre, die von wissenschaftlicher Bedeutung sind oder deren Zugänglichkeit in einem öffentlichen Museum im allgemeinen Interesse ist. Allerdings hatte sich in London kein Archäologe bereitgefunden, auf dem Podium Platz zu nehmen. "Die akademische Archäologie ist sehr zurückhaltend, solche Dinge öffentlich zu diskutieren", sagt Keith Amery von der City University, dem Organisator des Abends. "Das liegt daran, dass sie auf Grabungsgenehmigungen der ägyptischen Regierung angewiesen sind."
Tatsächlich befanden sich aber Archäologen im Publikum, darunter auch ein Vertreter einer wichtigen einschlägigen Organisation, der aber weder seinen Namen noch den seines Arbeitgebers genannt wissen möchte. Auch er stimmte dem Podium grundsätzlich zu, insbesondere der Schlussfolgerung Megan Rowlands: "Retentionistische Gesetze funktionieren einfach nicht, um Raubgrabungen zu verhindern", sagte sie im Hinblick auf die erst 2010 verschärften ägyptischen Gesetze einerseits und die aktuelle Situation andererseits.
Stattdessen würde Rowland gerne einem Vorschlag breitere Diskussion wünschen, den der berühmte britische Archäologe Colin Renfrew schon vor Jahren vorbrachte: Man sollte zur Praxis der Fundteilung zurückkehren. "Wenn Ausgräber einen Teil der Funde behalten dürften - das müssen nicht 50 Prozent sein, es könnten auch nur 10 Prozent sein - dann würde das den Museen erlauben, zu sammeln", sagt sie. "Lizenzierten Händlern würde es erlauben, legal einen Markt zu beliefern, und im Idealfall würde keine archäologische Information verloren gehen."
Politischer Hintergrund
Das Problem dabei war aber den in London Anwesenden ebenso klar wie den Ägyptologen, die im Moment vor Ort mit den Folgen der politischen Ereignisse für ihre Arbeit zu kämpfen haben: Was im Interesse der ägyptischen Altertümer ist und im Interesse aller, die sie erforschen oder bestaunen wollen, das muss nicht im Interesse der ägyptischen Machthaber sein.
Auch Zahi Hawass dürfte seinen strammen Retentionismus kaum in erster Linie als Ägyptologe vertreten, sondern als jemand, der sich in einem autokratischen Regime seinen eigenen (seinerseits autokratischen) Freiraum erhalten musste. Das mag man kritisieren wie die Herrenmoden-Kollektion, der Hawass nun seinen Namen lieh, oder den merkwürdigen Umstand, dass er sein Ministeramt behalten hat, nachdem er von einem anderen Vorwurf freigesprochen wurde als von dem, für den er verurteilt worden war. Doch wenn bei den freien Wahlen in Ägypten im September doch nicht die Muslimbrüder gewinnen (wie Jonathan Tokeley düster prophezeit), sondern eine halbwegs funktionierende Demokratie entsteht, dann bekommt Zahi Hawass vielleicht eine Chance, mehr als Ägyptologe urteilen zu dürfen denn als Diener eines Regimes. Und dann könnte dem Erbe der Pharaonen am Ende noch etwas Besseres passieren, als dass irgendwo in einem Mülleimer 37 altägyptische Figürchen auftauchen.
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